Blockchain Bundesverband e.V.
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Berlin, 30.01.2024
Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG)
AutorInnen:
Zsófia Vig, Rechtsanwältin, Bundesblock-Expertin, Leiterin der AG Finanzwirtschaft
Phil Hamacher, Rechtsanwalt
Sebastian Becker, Geschäftsführer Bundesblock
EINLEITUNG
Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, kurz KapMuG, ist in Deutschland von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, geschädigten Anlegern die Möglichkeit zu geben, sich gegen Finanzunternehmen oder Emittenten zu behaupten. Dies gilt auch für den Krypto-Bereich, d.h. für Ansprüche, die aus Token-Emissionen (ICOs) resultieren können.
Aus unserer Sicht kann die gebündelte Geltendmachung solcher Ansprüche künftig einen potentiell wichtigen Anwendungsfall des Gesetzes darstellen. Dabei sind faire und effiziente Gerichtsverfahren unabdingbar für einen hinreichenden Rechts- und damit -Investorenschutz, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Marktumfeld haben kann. Deshalb sind wir der Ansicht, dass ein effizientes KapMuG im Interesse des gesamten Krypto-Marktes sowie der einzelnen Marktteilnehmer liegt.
Die Reform des KapMuG ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings sieht der Bundesblock in Teilen auch noch weiteren Verbesserungsbedarf, den wir nachfolgend adressieren:
- Anwendungsbereich; ausreichende Erfassung von Kryptowerten
Wir begrüßen die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 1 KapMuG auf Angaben in Kryptowerte-Whitepapern nach der Verordnung (EU) 2023/1114 (vgl.§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 KapMuG-Ref-E).
Kryptowhitepaper nach der MiCAR werden damit erfreulicherweise per Legaldefinition im KapMuG zu einer „öffentlichen Kapitalmarktinformation“ erhoben. Diese Erweiterung ermöglicht in Zukunft Musterverfahren für Ansprüche aufgrund falscher, irreführender oder unterlassener Angaben in solchen Whitepapern, die auf Artikel 15 (sonstige Kryptowerte), Artikel 26 (vermögensreferenzierte „Token“) und Artikel 52 („E-Geld-Token“) der MiCAR gestützt sind.
Wir gehen davon aus, dass das Gesetz jedenfalls die relevantesten Anwendungsfälle von Krypto-Token auch außerhalb des § 1 Abs. 2 Nr.4 abdecken dürfte, zumal Krypto-Token grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln zu behandeln sind und damit je nach Einzelfall bspw. von § 1 Abs.2 Nr.1 erfasst sein können. Dennoch wäre aus unserer Sicht eine entsprechende Klarstellung wünschenswert. Ansprüche bezüglich ICOs, die sich auf Token mit kapitalmarkteŕechlicher Relevanz beziehen, stellen einen potenziell wichtigen Anwendungsbereich des KapMuG dar. Dies sollte sich nach unserer Ansicht zumindest in der Gesetzesbegründung widerspiegeln.
- Lange Verfahrensdauer
Erfreulicherweise lässt der Gesetzesentwurf Bestrebungen erkennen, die auf die Verkürzung der zum Teil exorbitant langen Verfahrensdauern abzielt. So soll z.B. die bislang in § 8 KapMuG geregelte zwingende Aussetzung aller materiell von den Feststellungszielen eines Musterverfahrens betroffenen Ausgangsverfahren entfallen. Diese Regelung hat tatsächlich zu einer übermäßigen Komplexität der Musterverfahren geführt und damit auch zu deren bisheriger Schwerfälligkeit beigetragen. Das BVerfG hat jüngst noch einmal sehr deutlich formuliert, dass eine überlange Verfahrensdauer mit den Grundsätzen des Art. 19 Abs. 4 GG schlicht nicht vereinbar ist.
Wünschenswert wäre es, wenn ein Vorrang- und Beschleunigungsgebot Eingang in den Entwurf finden würde. Ähnlich wie in z.B. § 155 FamFG ließe sich z.B. bestimmen, dass die Musterverfahren an den zuständigen Oberlandesgerichten vorrangig und beschleunigt durchzuführen sind. Flankiert werden sollte eine solche Regelung mit klaren Fristen, z.B. dass die Bestimmung des Musterklägers, welche in der Gerichtspraxis meist über ein Jahr dauert, innerhalb von z.B. einem Monat nach Beginn des Verfahrens zu erfolgen hat. § 10 Abs. 5 KapMuG-Ref-E bietet insoweit keine ausreichende Rechtsschutzgarantie, da durch die Formulierung “soll” dem Gericht ein Ermessensspielraum eröffnet wird. Weitere Beispiele sind denkbar und werden durch den Entwurf leider nicht ausreichend umgesetzt.
- Kein Leistungstitel
Auch wenn auf diese Problematik bereits im Zusammenhang mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vom 19. Oktober 2012 hingewiesen wurde, soll im Rahmen eines Musterverfahrens auch künftig kein Leistungstitel erstritten werden können. Aufgrund der fehlenden Vollstreckbarkeit stellen Feststellungstitel jedoch im Vergleich zu Leistungstitel grundsätzlich einen “schwächeren” Titel dar, wobei die Erlangung eines vollstreckbaren Titels mit zusätzlichem zeitlichen und sonstigem Aufwand verbunden ist. Dies stellt für die Beteiligten eines Musterverfahrens aufgrund der langen Verfahrensdauer eine zusätzliche Hürde dar und ist damit auch geeignet, Betroffene von der Teilnahme an einem Musterverfahren abzuhalten.
- Kein Opt-out
Obwohl auf die fehlende Opt-out-Möglichkeit für Beigeladene bereits im Hinblick auf das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vom 19. Oktober 2012 hingewiesen wurde, soll mit dem vorliegenden Referentenentwurf keine Abhilfe geschaffen werden. Dies ist aus unserer Sicht insbesondere im Lichte des neu einzuführenden § 9 Abs.5 KapMuG 2024 kaum nachvollziehbar. Demnach soll künftig der Musterkläger, der die Geschicke des Verfahrens wesentlich bestimmt, auch gegen seinen Willen aus dem Verfahren “entlassen” werden können, während ein Beigeladener, dessen Bedeutung für den Verfahrensausgang trotz § 9 Abs. 4 KapMuG 2024 deutlich geringer ist, gegen seinen Willen im Verfahren gefangen bleibt. Dies ist auch deshalb problematisch, weil der Hauptgrund für ein etwaiges Ausscheiden – überlanges bzw. aus Beigeladenensicht aussichtslos gewordene Verfahren – nach wie vor nicht beseitigt ist. Allein die Möglichkeit, den Musterkläger auszutauschen, hilft den Beigeladenen auch nicht weiter, da Verfahrensverzögerungen in der Praxis hauptsächlich nicht in der Prozessführung des Musterklägers, sondern im prozessualen Verhalten des Gegners begründet sowie teilweise bereits in der Systematik des Gesetzes angelegt sind.
Deshalb schlagen wir vor, § 9 mit folgendem Absatz zu ergänzen:
(6) Beigeladene können bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gem. § 17 ihren Austritt aus dem Musterverfahren erklären. Der Austritt muss schriftlich gegenüber dem Gericht erklärt werden; er kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. Die Unterbrechung des Ausgangsverfahrens gem. § 6 endet mit Erklärung des Austritts gegenüber dem Prozessgericht.
- System der Verbandsklagen: nach wie vor fragmentiert
Auch nach der Verlängerung bzw. Neufassung des KapMuG bleibt das System der Verbandsklagen in Deutschland fragmentiert. Uns ist bewusst, dass dieses Problem innerhalb eines einzelnen Gesetzes nicht behoben werden kann, vielmehr eine umfassende, sektorenübergreifende gesetzgeberische Lösung erfordert. Nichtsdestotrotz wünschen wir uns, dass diese – schon im Zusammenhang mit dem ersten KapMuG aufgeworfene Frage zumindest bei weiteren, langfristigen gesetzgeberischen Entwicklungen berücksichtigt wird.
FAZIT
Das KapMuG ist noch immer ein Experimentiergesetz. Der Entwurf zeigt besonders deutlich: Die Ausdehnung soll nur sehr vorsichtig und restriktiv erfolgen, insbesondere auch, um wohl eine unkontrollierte Klagewelle zu verhindern. Dabei darf der unions- und verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht außer Acht gelassen werden. Art. 19 Absatz 4 GG verpflichtet den Staat, einen wirkungsvollen Rechtsschutz sicherzustellen, und zwar innerhalb angemessener Zeit. Der Entwurf schließt erfreulicherweise Informationen, z.B. in Krypto-Whitepapern, mit ein und erkennt dadurch an, dass hierauf gemünzte falsche, irreführende oder unterlassene, öffentliche Kapitalmarktinformationen durchaus geeignet sind, massenhafte Zivilklagen auszulösen. Das ist zwar richtig, an der ein oder anderen Stelle hätten wir uns jedoch mehr Mut gewünscht.